
65 Darstellerinnen und Darsteller aus Ostbelgien, hinzu kommen noch ungefähr 40 Statistinnen und Statisten, sind mit dem neuen Regisseur, Jörg Lentzen, und mit viel Elan und Optimismus bei den Vorbereitungen. Sie alle haben eine lange Reise hinter sich – mit Zweifeln, Durchbrüchen und persönlichen Herausforderungen. Kurz vor der Premiere ist aus ihnen eine geschlossene Einheit geworden, die sich gegenseitig stützen, sich mit jeder Probe weiter steigern. Für Jörg Lentzen ist das der Moment, in dem aus einem Textbuch echtes Bühnenspiel wird. Mit ihm führten wir ein ausführliches Gespräch.
Im Jahr 2020 wurden Sie vom damaligen Vorstand der Schönberger Passionsspiele gefragt, die Regie zu übernehmen. Würden Sie heute nochmals „Ja“ sagen?
Ich hatte zunächst Bedenken, denn die Übernahme eines solchen Projekts bedeutet große Verantwortung – künstlerisch, organisatorisch und emotional. Die Schönberger Passionsspiele sind tief in der Region verwurzelt, eine gelebte Tradition und ein Gemeinschaftswerk über Generationen hinweg. Daher fragte ich mich: Kann und werde ich dieser Herausforderung gerecht werden? Als 2020 die offizielle Anfrage des Vorstands kam, war mir die Verantwortung umso bewusster. Doch meine langjährige Erfahrung als Regisseur und ausgebildeter Theaterpädagoge gab mir das Vertrauen, das Projekt nicht nur zu leiten, sondern mit neuen Impulsen zu bereichern. Seit Jahren arbeite ich mit Ensembles aus Profis, Laien und leidenschaftlichen Spielern – genau diese Mischung aus Hingabe, individueller Entwicklung und Gemeinschaft überzeugte mich, „Ja“ zu sagen. Ich würde heute wieder mit „Ja“ antworten.
Nur noch wenige Wochen trennen Sie und die Mitspieler/innen von der Premiere am 22. März? Was geht in Ihnen in diesen Wochen vor?
Die letzten Probenwochen vor der Premiere sind intensiv und entscheidend. Es zeigt sich jetzt auch, ob alle Inszenierungsideen funktionieren, ob sie tragen und die emotionale Wucht spürbar ist. Gleichzeitig wächst das Ensemble über sich hinaus – Figuren gewinnen Tiefe, Szenen entfalten ihre volle Wirkung. Die Zeit des Experimentierens ist vorbei. Mein Fokus liegt nun auf Vertiefung und Feinschliff: Tempo, Dynamik, Textsicherheit, Emotionen sowie Licht, Bühnenbild und Musik müssen perfekt ineinandergreifen. Besonders schätze ich die Zusammenarbeit mit dem Eupener Komponisten Christian Klinkenberg, meinen Kollegen an der Musikakademie der DG. Er erfasst die Atmosphäre der Szenen, die ich ihm im Vorfeld erkläre, arbeitet intensiv an seinen Kompositionen und setzt sie musikalisch äußerst gekonnt um. Auch die Statistinnen und Statisten spielen eine große Rolle – ihr stummes Spiel verstärkt die Emotionen der Szenen. Natürlich bleibt eine gewisse Nervosität, aber ich habe volles Vertrauen in die Spielenden, aber auch in den Vorstand und den zahlreichen Helfern hinter den Kulissen. Jetzt heißt es, auf unsere gemeinsame Arbeit zu vertrauen – und sich darauf zu freuen, dass das Publikum endlich die Kraft dieser Inszenierung erleben kann.
Neben der Freude auf die Premiere, macht Ihnen auch etwas Angst?
Angst habe ich nicht, aber die Spannung wächst. Natürlich weiß ich, dass kurz vor der Premiere die Proben zahlreich und intensiv sind. Deshalb mein größter Wunsch, dass alle auf sich achtgeben und gesund bleiben. Jede Rolle ist mit tollen Menschen einzigartig besetzt, sie sind mit Herzblut, Disziplin dabei. Die letzten Proben fordern viel, doch der Zusammenhalt im Ensemble ist stark. Jetzt heißt es, vertrauen, fokussieren und voller Energie auf die Aufführungen.
Sie investieren enorm viel Zeit für die Passionsspiele. Was bewegt Sie dabei und was ist Ihnen an den Passionsspielen so wichtig?
Die Passionsspiele sind für mich weit mehr als nur ein Theaterprojekt. Sie sind eine intensive Auseinandersetzung mit einer der bedeutendsten Geschichten der Menschheit. Was mich besonders bewegt, ist die gemeinsame Arbeit mit so vielen Menschen – aus ganz unterschiedlichen Hintergründen, mit verschiedenen Erfahrungen und Sichtweisen. Gerade weil ich selbst keinen tiefen Zugang zur Bibel habe, war es mir wichtig, Bibelkenner als Textbuchautoren um mich zu versammeln, um das Skript fundiert und authentisch zu gestalten. Diese Zusammenarbeit hat mich gefordert, aber auch bereichert. In dieser Auseinandersetzung konnte ich mich nicht nur mit der biblischen Geschichte, sondern auch mit meinem eigenen Glauben beschäftigen. Welche Aspekte der Leidensgeschichte berühren mich persönlich? Welche Fragen wirft sie für mich auf? Ich habe gelernt, dass die Passionsgeschichte weit über das Religiöse hinausgeht – sie erzählt von menschlichem Leid, von Verrat, Zweifel, aber auch von Hoffnung, Menschlichkeit, Vergebung und Stärke. Das sind universelle Themen, die jeden berühren können, unabhängig von Glauben oder Religion.
Mit welchen Erwartungen und Hoffnungen sehen Sie persönlich der 7. Auflage der Passionsspiele entgegen?
Ich habe mir in den letzten Jahren ein paar Passionsspiele anderer Spielorte angesehen, darunter waren klassische aber auch überarbeitete Spiele. Für mich war der Grund, die Regie der Schönberger Passionsspiele zu übernehmen, dass es die beiden Ebenen gibt, eben eine biblische und eine moderne. Schon zu Beginn, also 2020, hatte ich von den drei, vier ersten Szenen, von der Geißelungsszene und der Kreuzabnahme konkrete Bilder und Vorstellungen im Kopf. Ich bin froh, dass das Ensemble das auch so realisieren konnte. Wenn ich nun auf das fertige Produkt schaue, bin ich der Überzeugung, dass wir unsere Zuschauer erreichen und dass unsere Botschaft der Passionsspiele in den Zuschauern nachhallen wird.
Welche Szene in den Passionsspielen berührt Sie am meisten? Warum?
Immer wieder gibt es während der Proben Szenen, die mich berühren. So zum Beispiel die erste Szene der modernen Ebene: Das intensive Spiel der Darstellerinnen und Darsteller, untermalt von der fantastischen Musik Christian Klinkenbergs, sorgt bei mir jedes Mal für Gänsehaut. Aber auch die beiden Kinderszenen berühren mich immer wieder. Die Kinder und Jugendlichen sind mit genau so viel Herzblut dabei wie die Erwachsenen. Bei der letzten Probe war es die Szene der Kreuzabnahme, die ich als eine Meditation inszeniert habe, die mich besonders bewegte. Auch hier entfaltet Klinkenbergs Musik ihre volle Wirkung. Ich gestehe, ich musste mit den Tränen kämpfen.
Das Motto 2025 lautet „Seht! Ich mache alles neu“. Was bedeutet Ihnen dieses Thema persönlich?
Das Motto für 2025 geht auf unseren leider viel zu früh verstorbenen Textbuchautor, Pastor Karl-Heinz Calles (+), zurück. Während unserer Zusammenarbeit betonte er, dass ein neuer Präsident der Passionsspiele Schönberg sowie ein neuer Regisseur entscheidend sind, um die Spiele mit frischer Energie, kreativen Ideen und einer zukunftsweisenden Vision neu auszurichten. Das Motto bildet nicht nur den thematischen roten Faden unserer Aufführung, sondern spiegelt auch die Impulse wider, die wir alle in die diesjährigen Passionsspiele einbringen. Gemeinsam mit unserem engagierten Ensemble ist es uns gelungen, Bewährtes zu bewahren und gleichzeitig Raum für Neues zu schaffen. Für mich persönlich bedeutet das Motto, dass nur Erneuerung stattfinden kann, wenn „Altes“ oder „überholte Denkmuster“ losgelassen werden kann.
Wie wird dieses Thema in der „weltlichen“ Ebene umgesetzt? Welche inhaltlichen Neuheiten gibt es diesmal bei den Passionsspielen?
Natürlich möchte ich hier nicht zu viel verraten. Die Texte der modernen Ebene werden ja immer wieder neu verfasst. Das ist das Besondere an den Passionsspielen Schönberg. Aber auch eine Herausforderung. So viel sei schon mal verraten: Die Erde ist von Finsternis umgeben. Die Überlebenden begeben sich auf dem Weg der Selbsterkenntnis und stellen neue Regeln des Zusammenlebens auf. Lassen sich dabei natürlich vom Leben und der universellen Botschaft Jesu inspirieren. Ebenfalls wurden die biblischen Texte angepasst und einige Szenen haben den Weg ins Textbuch gefunden, die vielleicht zur damaligen Zeit so stattgefunden haben könnten.
Was wünschen Sie sich für die Zuschauer und für sich selbst?
In unserer heutigen komplizierten und verrückten Welt, in der die Masse sich wieder dem rechten Rand nähert, in der Autokraten, krankhafte Narzissten und finanziell unabhängige Menschen denken, sie könnten sich die Welt und die Menschen untertan machen, braucht es umso mehr eine Botschaft der Menschlichkeit, der Liebe, der Toleranz und der Hoffnung. Ich wünsche mir, dass unsere Zuschauer durch Jesu Worte und unser Bühnenspiel angeregt werden, mit neuer Zuversicht in den nächsten Tag gehen. Jesu Lehre erinnert uns daran, dass wahre Größe nicht in Macht oder Reichtum liegt, sondern in Mitgefühl, Menschlichkeit, Gerechtigkeit und der Bereitschaft, einander als Geschwister zu begegnen. Mögen unsere Aufführungen dazu beitragen, diese Werte in den Herzen der Menschen zu verankern und sie zu ermutigen, Licht in eine oft dunkle Welt zu bringen.